Arbeitserleichterung zur Rückgewinnung des Paradieses

Auf fol. 5r im Speculum Humanae Salvationis, Madrid, Bibl. Nac., Ms. B. 19,  wird Adam nach der Vertreibung dargestellt, mit einer Spitzhacke samt metallener Klinge den Ackerboden bearbeitend. Die Figur der Eva vervollständigt diese Bildgruppe; sie wird bei der Ausübung eines Handwerks, des Spinnens, gezeigt.

Die mittelalterliche Theorie zu den Bedingungen, Grundlagen und dem Status menschlicher Arbeit unterscheidet sich grundsätzlich von der Antike. Während dort  jegliches mit der Hand ausgeübte Tun, d.h. alle mit den artes mechanicae verbundenen Tätigkeiten als niedere, den Sklaven überlassene Verrichtungen galten, erfuhr das Handwerk mit der Exegese der christlichen Schöpfungsgeschichte eine Aufwertung.

Speculum Humanae Salvationis, Madrid, Bibl. Nac., Ms. B. 19, fol. 5r. REALonline 003427A

Nach dem Sündenfall hatte Gott Adam des Paradieses verwiesen, „dass er das Feld baute, davon er genommen war“ (1. Mose 3, 23). Im Didascalicon verbindet Hugo von St. Victor (1097-1141) die Absenz von Artefakten im Paradies einerseits und das göttliche Gebot irdischer Arbeit andererseits zu einem Argument, die artes mechanicae aufzuwerten: Ebenso wie die artes liberales dienten sie dazu, das Paradies wenigstens partiell wiederherzustellen, da sie Mittel zur Erleichterung der Arbeit bereit stellten. Dies wertete auch Innovationen auf, wie die Festigung der Pflugscharen mit Eisen zu etwa dieser Zeit. Die artes mechanicae werden von Hugo in das Wissenssystem einbeschlossen, denn es gilt, dass beispielsweise die Theorie zur Landwirtschaft Sache der Philosophie ist: agricultura ratio philosophiae est. Auch das Fertigen von Kleidern, die nach dem Sündenfall notwendig werden, wird bei Hugo ausführlich besprochen. Gott hatte die Stammeltern noch mit Fellen gekleidet (1. Mose 3,  21). In der Schöpfungsgeschichte ist keine Rede von der Tätigkeit Evas; die Ikonographie geht vermutlich zurück auf Sprüche 31, 19: Sie streckt ihre Hand nach dem Rocken, und ihre Finger fassen die Spindel. Der Spinnrocken ist ein Artefakt, das die Herstellung der Kleidung erleichtert, so wie die metallene Klinge der Hacke effizienter ist als eine hölzerne. Während auf der linken Seite des Bildes Adam und Eva im Gleichschritt und mit gesenktem Kopf das Paradies verlassen, formieren sie auf der rechten Seite in kompositorischer Hinsicht eine harmonische, geschlossene Gruppe; zu beiden Seiten des Spinnrockens stehen die jeweils unüberschnittenen, stabilen Figuren (auch) für die Errungenschaften von Handwerk und Landwirtschaft. Für eine solche Sicht auf die Ikonographie sprechen vor allem auch Darstellungen, die für ihre Zeit modernste Geräte zeigen, wie den von Adam geführten Pflug auf einem  Fresko in der Filialkirche St. Prokulus in Naturns (Südtirol).

Literatur: Elspeth Whitney, Paradise Restored. The Mechanical Arts from Antiquity through the Thirteenth Century, in: Transactions of the American Philosophical Society 80, 1990, 1-169

H.S.